Die Bingerstraße ist eine der zentralen Verkehrsadern in Ingelheim und spielt eine entscheidende Rolle für den täglichen Verkehr in der Stadt. Laut einem Lärmgutachten der Stadt, das im Mai 2021 in Auftrag gegeben wurde, fahren tagsüber durchschnittlich 340 Fahrzeuge pro Stunde durch die Bingerstraße, nachts sind es etwa 130 Fahrzeuge. Der dabei gemessene Lärmpegel beträgt am Tag 67,3 dB, während der gesetzlich festgelegte Auslösewert für Lärmschutzmaßnahmen bei 67 dB liegt, also gerade einmal 0,3 dB unter dem gemessenen Wert. In der Nacht wurde ein Lärmpegel von 59,3 dB gemessen, auch hier überschreiten wir den Auslösewert (57 dB) nur leicht.
Das Schalltechnische Beratungsbüro Giering kam in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass eine Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h eine rechnerische Lärmreduzierung von maximal 2,4 dB erzielen könnte. Diese relativ geringe Verbesserung des Lärms hatte zur Folge, dass das Thema nach einer Beratung im Umweltausschuss vor zwei Jahren zunächst zu den Akten gelegt wurde.
Nun wird das Thema erneut diskutiert, wobei sich die Frage stellt, ob eine Tempo-30-Zone auf Hauptverkehrsstraßen wie der Bingerstraße tatsächlich die erhofften positiven Effekte bringen würde. Ein aktuelles Gutachten des ADAC zeigt, dass in Städten, die ihre Hauptstraßen zu Tempo-30-Zonen gemacht haben, der Verkehr oft auf die Nebenstraßen ausweicht. Dies führt dazu, dass die Belastung in Wohngebieten ansteigt, anstatt den Verkehr auf den Hauptstraßen zu entlasten. Letztlich bleibt die Frage, ob die Einführung von Tempo 30 auf der Bingerstraße den Anliegern wirklich nutzt oder ob es zu einer bloßen Verlagerung des Problems führt.
Ein weiteres Argument in der Diskussion ist, dass viele Anwohner selbst ein Auto besitzen und auf eine zügige Verkehrsführung angewiesen sind. Laut Statistik besitzen 77 % der deutschen Haushalte mindestens ein Auto. Auch wenn ein Teil der Anlieger die Reduzierung der Geschwindigkeit fordert, bleibt die Frage, was die Mehrheit der Bürger tatsächlich möchte. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass die meisten Menschen zwar den Lärm und die Belastung von Straßen, Flughäfen oder Bahnen kritisieren, gleichzeitig jedoch selbst die Infrastruktur intensiv nutzen.
Wird die Bingerstraße zu einer Tempo-30-Zone, bedeutet dies eine deutliche Verlangsamung des Verkehrsflusses auf einer der wichtigsten Einfahrtsstraßen der Stadt. Die Fahrzeiten würden sich verlängern, und es bestünde die Gefahr, dass sich dadurch ein künstlicher Stau bildet. Solche Verkehrsbehinderungen sind in anderen Städten, wie etwa in Finten, bereits tägliche Realität, und auch in der Mainzer Innenstadt stehen viele Geschäfte leer, weil Kunden lieber auf Einkaufszentren außerhalb der Stadt ausweichen, wo es keine Verkehrsbeschränkungen und ausreichend Parkplätze gibt.
Ein weiteres zentrales Argument für Tempo-30-Zonen ist oft die Reduzierung von Lärm und Umweltbelastung. Doch diese Begründung könnte in den kommenden Jahren an Bedeutung verlieren, da Deutschland das Ziel verfolgt, vermehrt Elektroautos auf die Straßen zu bringen. Elektroautos sind beim Fahren nahezu geräuschlos und produzieren keine direkten Emissionen. Wenn dieser Wandel hin zu Elektrofahrzeugen weiter fortschreitet, verliert die Argumentation für Tempo-30-Zonen in Bezug auf Lärm- und Umweltschutz deutlich an Gewicht.
Insgesamt bleibt die Frage offen, ob die Einführung einer Tempo-30-Zone auf der Bingerstraße tatsächlich die gewünschten positiven Effekte bringen würde. Die geringe Reduktion des Lärmpegels steht im Verhältnis zu den möglichen Nachteilen, die durch den verlangsamten Verkehr und die Verlagerung auf Nebenstraßen entstehen könnten. Es ist wichtig, dass bei dieser Entscheidung alle Aspekte, von der Lärmbelastung bis hin zu den Bedürfnissen der Autofahrer, sorgfältig abgewogen werden, bevor Maßnahmen ergriffen werden.